19.03.2022
Flucht ist kein Verbrechen
Heute ist der internationale Tag gegen Rassismus. DIE LINKE Schleswig-Holstein ruft heute um 13:30 auf zur Kundgebung am Abschiebegefängnis Glückstadt. Ich wollte dort eine Rede halten, aber meine Covid-19-Infektion hält mich hier fest.
Dies ist die Rede, die ich gern gehalten hätte:
„Sage mir, was für Einrichtungen du baust, und ich sage dir, wer du bist.
Das Abschiebegefängnis von Glückstadt ist umgeben von einer sechs Meter hohen Mauer.
Hinter dieser sechs Meter hohen Mauer, die mit NATO-Draht befestigt ist, werden Menschen eingesperrt, deren einziges Vergehen es ist, dass sie versucht haben, hier zu leben. Junge Menschen, ältere Menschen – nicht einmal Familien sind davon ausgenommen. Sie werden hier bis zu eineinhalb Jahre eingesperrt.
Ich habe mal gegoogelt, wofür man achtzehn Monate ins Gefängnis kommt: Da war ein Dealer, der gewerbsmäßig mit Ecstasy gehandelt hat und ein Mann, der gewerbsmäßigen Betrug, Untreue und Urkundenfälschung begangen hat. Ein Landeshauptmann der FPÖ, der gegen Bestechung einem russischen Investor die österreichische Staatsbürgerschaft verschafft hat. Diese Vergehen sind achtzehn Monate Haft wert.
Oder eben Migration.
Um unerwünschte Migration zu verhindern werden immer wieder monströse Anstrengungen unternommen. Die Europäische Union hat Hunderte von Kilometern Außengrenzen mit Stacheldraht und Zäunen gesichert, zuletzt an der Grenze von Polen nach Belarus. Die Berliner Mauer hatte gute 3,60 Meter und einen Todesstreifen. Trumps Mauer hat etwa neun Meter.
Um südamerikanische Migrantinnen und Migranten abzuwehren, hat man ihnen unter Trump die Kinder an der Grenze weggenommen und sie in Lagern im ganzen Land verteilt. Die Bilder von Kindern in Käfigen gingen um die Welt. Nicht alle Familien konnten wieder zusammengeführt werden. Die Landesregierung ist humaner. In dieser Einrichtung dürfen Familien komplett weggesperrt werden. Kann sich jemand vorstellen, was es für ein Kind bedeutet, achtzehn Monate in einem Hochsicherheitsgefängnis zu leben?
Was diese Anlage noch widerwärtiger macht, als sie es ohnehin ist, ist das Label ‚Wohnen minus Freiheit‘. Es stammt aus dem Wörterbuch des Unmenschen, orwellscher ‚Neusprech‘.
Sage mir, was für Einrichtungen du baust, und ich sage dir, wer du bist.
Ich habe mir mal angesehen, was sich bei den die Landesregierung tragenden Parteien zum Thema findet. Die CDU bekennt sich zu ’starkem Schutz der europäischen Außengrenzen‘ und begründet damit den Bau des Abschiebeknasts. Auch FDP macht sich ehrlich und fordert ‚konsequente Rückführung, wenn weder akuter Schutz nach Kriterien des Asylrechts noch Kriterien des Zuwanderungsrechts erfüllt werden.‘
Bei den GRÜNEN heißt es hingegen: ‚Wir wollen Pushbacks und das Leid an den Außengrenzen beenden.‘ Aber auch: ‚Jamaika setzt die richtigen Schwerpunkte.‘
Wer solche Einrichtungen baut, holt die Außengrenze tief ins Inland. Hier findet kein illegaler ‚Pushback‘ statt, sondern ein legaler, ordentlicher Vorgang. Er führt unschuldige Migrantinnen und Migranten in einen Innenhof mit Stacheldraht, eine mehrmonatige Haft und eine anschließende Abschiebung. ‚Jamaika setzt die richtigen Schwerpunkte.‘ Man kann das so sehen.
Sage mir, was für Einrichtungen du baust, und ich sage dir, wer du bist.
Eine humane und offene Gesellschaft kann nicht mit Stacheldraht errichtet werden. Es gibt zwei grundsätzliche Wege mit der sozialen Ungleichheit auf der Welt umzugehen: entweder Mauern oder den Kampf um eine bessere Welt. Lasst uns den zweiten Weg gehen.“